Die US-amerikanische Countryszene hat zwei Gesichter – Das andere ist (auch) Kris Kristofferson
Nur drei Konzerte in diesem Jahr in Deutschland – Ein musikalischer Abschied?
Kris Kristofferson gibt sich wortkarg an diesem Abend, lässt lieber die Musik sprechen. Es ist eines von nur drei Konzerten, die der Sänger in diesem Jahr in Deutschland gibt. Als Konversation mit dem Publikum müssen ein paar „Thank You`s“ und am Schluß ein „God bless you“ reichen. Und dennoch umhüllt den Sänger eine unsichtbare magische Aura, der man sich nicht entziehen kann. Kristofferson ist eine Ikone der Countrymusic, einer der letzten Outlaws, ein „Gesetzloser“, der sein Ding durchzieht. Dazu ein Könner, gesegnet mit Talent. Niemanden muss er mehr etwas beweisen. Der noch 82-jährige ist eine Institution, eine Legende, einer der letzten einer „aussterbenden“ Art. Am Donnerstagabend stand er mit seiner Band The Strangers, mit Mitgliedern der letzten Tourband des verstorbenen Countrymusikers Merle Haggard auf den Brettern der Parkbühne Leipzig. Wie einst sein Freund Johnny Cash kommt er ganz in Schwarz auf der Bühne, die Gitarre geschultert, hebt nur kurz zur Begrüßung den Arm und lächelt. Da ist es Punkt 20 Uhr! Dann geht’s auch schon los. Mit „Shipwrecked in the Eighties”.
Der Sänger hat sich eine straffe Setliste von 30 (!) Liedern auferlegt, sie ist eine Reise durch die eigene musikalische Geschichte, aber irgendwie auch durch die jüngere Geschichte der USA in Liedern. Immer schon hatte die US-amerikanische Countryszene zwei Gesichter, von denen wir lange Zeit nur eines gesehen haben, nämlich das Bild vom einsamen Cowboy und Lagerfeuerromantik im Sonnenuntergang in den Weiten der Prärie. Singende Cowboys wie Roy Rogers zeichneten ein Bild von harten Kerlen, die ihr Glück auf dem Rücken der Pferde fanden und Frauen, deren Erfüllung es war, am heimischen Herd zu stehen. Doch zwischen diesem vermittelten Bild und der Wirklichkeit klafft eine große Lücke. Songschreiber wie Johnny Cash, Willie Nelson, Waylon Jennings und eben Kris Kristofferson (die zwischen 1985 und 1995 die legendären Country-Supergroup Highwaymen bildeten) stellten sich dieser heilen Welt entgegen, machten sich stark für die Benachteiligten, für die Unterdrückten, für die am Rande der Gesellschaft Lebenden. Sie schrieben und sangen über das wahre Leben.
Auch Kris Kristofferson hat Songs für die Ewigkeit geschrieben. Sie haben Generationen begleitet, handeln von Außenseitern, von Gestrandeten und Gescheiterten, die nur noch am Rande der Gesellschaft ihren Platz finden und ihre Einsamkeit im Alkohol ertränken, von unglücklicher Liebe, und auch immer wieder von der Liebe zur Freiheit. Sie erzeugen Bilder eines anderen Amerika, eines Lebens abseits der großen Städte, erzählen von alltäglichen Geschichten, persönlich und authentisch. Kristofferson nimmt man all das ohne Frage ab. Er ist glaubwürdig und authentisch. Ein Blick in seine beim Singen glänzenden Augen und sein zerfurchtes Gesicht reicht um zu begreifen: Hier meint es einer ehrlich, und ist mit Leidenschaft dabei. Dabei nimmt man kaum wahr, dass seine Stimme beim Singen auch schon mal etwas brüchig wirkt. Oder er einen halben Ton tiefer singt. Das ist überhaupt kein Ding, um darüber zu reden. Hier kredenzt eine Legende sein Lebenswerk, auf eine ganz solide Art, unaufgeregt, hochwertig und – obwohl es keinerlei Showeffekte gibt – dennoch unterhaltsam auf höchstem Niveau.
Im Konzert spannt er den Bogen von den Anfängen der 1970er Jahre bis hin zum neuesten Album „Cedar Creek Sessions“ von 2016. In schneller Abfolge lässt der 82-jährige sein musikalisches Leben Revue passieren. „Darbys Castle“, „Best of Possible Words“, “Feeling Mortal” und “From Here To Forever”. Auf seinen wohl populärsten Hit „Me and Bobby McGee“ muss man auch nicht lange warten. Und weil mit ihm auch ehemalige Musiker aus der Band Merle Haggards auf der Bühne stehen, gibt es ebenso einige Lieder des verstorbenen Countrystars zu hören, wie „That’s The Way Love Goes“ (gesungen von Scott Joss) oder „Daddy Frank (The Guitar Man)“ (gesungen von Keyboarder Doug Colosio). Auch das schaurig-schöne „Sing Me Back Home“ und das flotte „Okie From Muskogee“ dürfen da nicht fehlen.
So eng wie sich seine Mitmusikanten Scott Joss (Geige, Gitarre), Doug Colosio (Keyboards) und Jeff Ingraham (Schlagzeug) den Platz auf der Bühne teilen, so kompakt und elegant ist der von überragender und dennoch dezenter Klarheit geprägte Sound, den die versierten Instrumentalisten erzeugen. Hier weiß jeder, was er zu tun hat und das Publikum honoriert das oft mit Zwischenapplaus.
Kristofferson selbst pflegt solides Understatement. Er steht da wie ein Fels in der Brandung, aufrecht und gerade. Wenn er sich bewegt, dann höchstens mit einem kleinen Dreh zur Seite, den Blick zu Geiger Joss, die Füße bleiben stets da, wo sie von Anfang an waren. Doch ab und an blitzt auch der Schelm in ihm auf. Der Refrain von „Help Me Make It Through The Night“ beispielsweise wird zu „Help Me Make It Through Tonight“ – Hilf mir durch diese Show heute Abend. Der Sänger weiß, dass seine Zeit begrenzt ist, erzählt u.a. in „Feeling Mortal“ vom gleichnamigen Album über das Älterwerden, stellt sich seiner eigenen Vergänglichkeit.
Mit dem letzten Ton von “Please Don`t Tell Me How The Story Ends”, dem 30.Lied des ohne Pause gespielten Sets – seinerzeit ein Duett mit seiner damaligen Ehefrau Rita Coolidge – endet nach exakt neunzig Minuten dieser Konzertabend viel zu früh und vor allem abrupt. Ein „God Bless You“ auf dem Weg hinter den Vorhang muss reichen als Verabschiedung. Keine Zugabe trotz vehementer Forderung durch das Publikum. Irgendwie schade, man hätte dem Sänger gern noch weiter zugehört, zu noch mehr Songs aus seinem umfangreichen Liederfundus gelauscht. Und wer weiß das schon? Vielleicht ist dieses Konzert auch so etwas wie ein Abschied? Hoffen wollen wir es nicht!