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John Mellencamp: Orpheus Descending

Die neue Platte des Heartland-Rockers und legendären Singer-Songwriters ist eine musikalisch aufwühlende, textlich dunkel-böse Abrechnung mit der US-Politik.

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John Mellencamp - Orpheus Descending John Mellencamp - Orpheus Descending. Bildrechte: Republic Records (Universal Music)

War das Vorgängerwerk „Strictly A One-Eyed Jack“ schon eine klare Aussage gegen Hass, Gewalt und Bigotterie in der US-Gesellschaft, so ist das neue, das 25. Studioalbum von John Mellencamp, das er Orpheus Descending genannt hat, eine noch bitterbösere und dunklere Abrechnung mit der US-Politik. Trotz oder gerade wegen seiner mittlerweile 71 Jahre ist Mellencamp dabei hörbar angefressen und engagiert sich vital und wütend gegen die herrschenden politischen Tendenzen in den USA.

Gegen die immergleichen Worte der „Tränen und Gebete“

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Mit „Hey God“ klagt er das fragwürdige US-Waffenrecht an und beklagt die vielen Toten der Amokläufe und Terrormorde in Amerika. In „The Eyes Of Portland“ zeigt der Sänger sich erschüttert über die große Zahl der Obdachlosen in der reichen US-Gesellschaft und stellt die Bigotterie an den Pranger: „Your tears and prayers won’t help the homeless“. Die „Tränen und Gebete“, die von rechten Politikern immer im Mund geführt werden, um Vorfälle und Entwicklungen zu bedauern, die sie mit ihrer Politik selbst verursacht haben, sind keine Hilfe. Von rassistischen Morden über Obdachlosigkeit bis zu Umweltkatastrophen. Und auch „Amen“ spielt mit dieser Figur. Zu Gott beten ob all der Verwerfungen, ist alles was den „gierigen Dreiteilern“ dazu einfällt:

„And the greed of the three-piece suit.
With their signatures and weapons in their hands.
Say Amen, and Amen.
That’s all we got to say.“

„Und die Gier der Dreiteiler.
Mit ihren Unterschriften und Waffen in ihren Händen.
Sagen sie Amen und Amen.
Das ist alles, was wir zu sagen haben.“

Inspiriert von von Orpheus und Tennessee Williams

Schlüsselwerk des atmosphärisch dichten und faszinierenden Albums ist der Titeltrack „Orpheus Descending“. Er ist sowohl von der klassischen Orpheus-Geschichte, als auch von Tennessee Williams‘ Stück „Orpheus steigt herab“ inspiriert, welches die Vorlage für den Film „Der Mann in der Schlangenhaut“ mit Marlon Brando und Anna Magnani bildete. Orpheus gilt als der größte Sänger der griechischen Mythologie. Seine Musik konnte den Lauf der Welt verändern und die Herrschenden umstimmen. Im Stück und im Film ist Orpheus ein Sänger im Schlangenhaut-Anzug, der seine Lieder von individueller Freiheit und Nonkonformität im rückständigen, rassistischen Milieu der Südstaaten singt. Das endet in der Katastrophe und der Sänger stirbt.

Mellencamp greift das Motiv in vielschichtiger Weise auf: Er wäre sicher selber gerne ein Orpheus, der mit seinen Liedern diese ungerechte Welt verändern kann. Und er weist auch auf die falschen Propheten und die „gefakten“ Orpheus-Persönlichkeiten hin, die vorgeben gegen das Establishment zu sein, nur um die ungerechtesten, sinnlosesten und gewalttätigsten herrschenden Strukturen aufrecht zu erhalten. Kein anderer als Donald Trump kann gemeint sein, wenn Mellencamp in „Orpheus Descending“ singt:

„There’s a broke down shack.
Out on alphabet street.
Take a streetcar named „Desire“.
If you can take the heat.
There’s a yellow haired snake.
That can get us in for free.
With her gaslight stories.
And a body like you wouldn’t believe.“

„Da ist eine kaputte Hütte.
Draußen auf der Alphabet Street.
Nimm eine Straßenbahn namens „Desire“.
Wenn Du die Hitze ertragen kannst.
Da ist eine gelbhaarige Schlange.
Die kann uns kostenlos da reinbringen.
Mit ihren Lügengeschichten.
Und einem Körper, den Du nicht vorstellen kannst.“

Ganz passend verweist Mellencamp hier auf ein anderes Stück von Tennessee Williams, „Steetcar named Desire“ (deutsch „Endstation Sehsucht“), indem sich, ganz wie heute die extreme Rechte mit „Make America Great Again“, schon in den Umbruchsjahren in den 1940ern Teile der amerikanischen Gesellschaft nach einem besseren, früheren Amerika sehnten, welches es so nie gab.

Grimmig, sarkastisch und entschieden

Doch bei allem Engagement des 71-jährigen, hin und wieder klingt die Bitterkeit durch, dass man bzw. er das Unglück dann vielleicht doch nicht mehr verhindern kann. Er weiß aber, dass er noch ein As im Ärmel hat:

„So they finally got that noose around my neck
Makes no difference to me now
I knew they’d win. On that you can bet
Got one more trick up my sleeve“

„Endlich haben sie mir die Schlinge um den Hals gelegt
Macht für mich jetzt keinen Unterschied
Ich wusste, dass sie gewinnen würden. Darauf können Sie wetten
Ich habe noch ein As im Ärmel“

Aber letztendlich überwiegt auf diesem großen Album– musikalisch gekennzeichnet von treibendem und aufwühlendem, eben typischem Mellencamp-Folk-Rock – das Gefühl, dass es einen Ausweg geben muss.

„If there’s a will
There’s always a fucking way“

„Wo ein Wille ist,
da ist immer auch ein verfickter Weg“

singt er in „Orpheus Descending“ ebenso grimmig-böse wie sarkastisch.

Fazit: Je älter, desto besser! Dieser Mellencamp macht aus seinem Herzen keine Mördergrube mehr und benennt den gegenwärtigen amerikanischen Wahnsinn beim Namen. Und das mit eingängiger, feiner Musik. Tatsächlich neben Bob Dylan und Bruce Springsteen eine der wahren, wirklichen amerikanischen Orpheus-Gestalten. Einer der besten und entschiedensten Songwriter unserer Zeit!

John Mellencamp – Orpheus Descending: Das 2023er Album

John Mellencamp - Orpheus Descending

Titel: Orpheus Descending
Künstler: John Mellencamp
Veröffentlichungstermin: 30. Juni 2023
Label: Republic (Universal Music)
Formate: CD, Vinyl & Digital
Tracks: 11
Genre: Americana, Folk-Rock

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Trackliste: (Orpheus Descending)

01. Hey God
02. The Eyes Of Portland
03. Land Of The So Called Free
04. The Kindness Of Lovers
05. Amen
06. Orpheus Descending
07. Understated Reverence
08. One More Trick
09. Lightning And Luck
10. Perfect World
11. Backbone

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Über Thomas Waldherr (839 Artikel)
Redakteur. Fachgebiet: Bob Dylan, Country & Folk, Americana. Rezensionen, Specials.
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