„Sometimes it’s hard to be a woman“ – oder Tammy Wynette und die Kontroverse um „Stand By Your Man“

Am 6. April 1998, verstarb mit gerade Mal 55 Jahren Countrymusik-Ikone Tammy Wynette. Gute 30 Jahre früher hatte Wynette alle Hits, die den Verlauf ihrer Karriere bestimmen sollten: In den späten 1960er Jahren bis in die 70er war Wynette unglaublich erfolgreich. Ihr privates Leben hingegen war geprägt von großem Leid: Da waren zum einen ihre andauernden Beziehungsprobleme – Wynette war allein fünfmal verheiratet, zum anderen hatte sie mit ihrer Alkohol- und Tablettenabhängigkeit zu kämpfen und auch immer wieder mit anderen ernsten Gesundheitsproblemen zu tun.

Insbesondere ihre gescheiterten Ehen führten dazu, dass sie sich sicher mit vielen Inhalten ihrer Songs – z.B. mit ihrem Hit D-I-V-O-R-C-E – bestens identifizieren konnte. So hört man hier trotz einer gewissen Seifenopernqualität des Stücks deutlich die schmerzliche Aufrichtigkeit in Wynettes Vortrag.

Vom Ansatz her versucht Wynette in fast allen ihrer Songs der amerikanischen Frau ihre Stimme zu geben. Aber da es erstens natürlich nie die amerikanische Frau gab oder gibt und sich zweitens das gesellschaftliche Bild und die Stellung der Frau in jener Zeit stark veränderte, waren die Probleme vorprogrammiert: Viele Frauen dachten nicht im Traum daran, sich mit Wynettes Songcharakteren zu identifizieren. Andere fanden sich gerade deshalb in ihnen wieder. Dabei ist Wynette in ihren Songs nicht auf eine Rolle festgelegt, denn ihre Charaktere unterscheiden sich durchaus: In ihrem ersten Hit Your Good Girl’s Gonna Go Bad probt die eben noch brave Hausfrau den Aufstand und bricht aus ihrem konventionellen Leben aus, ja, beschließt, nicht länger passiv zu sein, und nun selbst ein wildes Leben zu führen. In anderen Stücken verkörpert Wynette oft Mütter kleiner Kinder, die in schwierigen Beziehungen oder gar völlig zerrütteten Familienverhältnissen leben, wie z.B. in I Don’t Wanna Play House.

War D-I-V-O-R-C-E noch ohne größere Ressentiments von der Öffentlichkeit aufgenommen worden, so änderte ihr nächster und größter Hit Stand By Your Man ihr Leben für immer, was nicht nur an seinem phänomenalen Erfolg lag, sondern vor allem daran, wie umstritten das Stück zur damaligen Zeit war. Wynette sagte über den Song: It’s unbelievable to me that a song that took me 20 minutes to write, I’ve spent 20 or 30 years defending.

Als sie „Stand By Your Man“ nach einer Grundidee ihres Produzenten Billy Sherrill gemeinsam mit ihm in einer Aufnahmepause im Studio schrieb, war sie gerade im Begriff, ihren zweiten Ehemann für George Jones zu verlassen. Ihr Gatte hatte nämlich Nacktfotos von ihr über Anzeigen in Pornomagazinen verkauft. Sometimes it’s hard to be a woman – zumindest bei dieser Zeile wusste Tammy Wynette auf jeden Fall, wovon sie sang.

Bis heute gibt es Diskussionen darüber, ob „Stand By Your Man“ weibliche Unterwerfung fordert oder schlicht ein Lied über aufrichtige Liebe ist. Von der amerikanischen Frauenbewegung wurde „Stand By Your Man“ klar als reaktionärer Song begriffen, der Frauen aufforderte, egal was passiert, treu zu ihren Männern zu stehen. Und genau das war auch beabsichtigt, wurde die Rezeption des Stücks doch nachhaltig dadurch bestimmt, dass die Plattenfirma Epic die Single bei ihrem Erscheinen als Tammy Wynettes Antwort auf das „Women’s Liberation Movement“ bewarb. Das geschah aber ohne Wynettes Zutun. Die Plattenfirma hatte einfach einen klugen Marketing-Schachzug gefunden: Polarisierung erhöht die mediale Aufmerksamkeit.

Aber wie so oft in der Kunst sind unterschiedliche Lesarten ein und desselben Werks möglich und können gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Stand By Your Man ist dafür ein perfektes, ja vielleicht sogar böses Beispiel, da der Song zumindest von seinem Produzenten Billy Sherrill von vornherein – wie von Epic beworben – angelegt war: Er wollte gerade einen Song für die Frauen schreiben, die gerade nicht für ihre Rechte auf die Straße gingen.

Wynettes Ansatz war aber ein anderer, vielleicht naiver, denn sie hatte ein starkes Liebeslied vor Augen, in dem die Liebe Fehler vergibt und ein Paar versuchen kann, nach einer Krise von vorn zu beginnen. Manchmal ist jedoch die Kunst größer als ihre Schöpfer und diese haben keine Kontrolle darüber, wie und von wem ein Stück vereinnahmt wird.

Was an dieser Stelle aber abgesehen von dem wie auch immer interpretierten Text erwähnt werden muss, ist, dass Stand By Your Man rein musikalisch ein super eingängiger und gut arrangierter Song mit einem gelungenen Groove und Refrain ist: „Stand By Your Man“ hat alles, was ein guter Country- und Popsong braucht.

Ich finde, Wynette macht letztlich schon allein über den ihr so eigenen Gesangsstil klar, dass zu jemanden zu halten oder ihm gar zu vergeben kein einfacher oder leichter, sondern vielmehr ein äußerst schwerer und schmerzvoller Prozess sein kann. Überhaupt ist das Lied – das nach Aussage Wynettes aus der Sicht einer Frau erzählt, die eine Freundin in einer Krise trösten und beraten will – auch als das innere Zwiegespräch einer zutiefst unter den sexuellen Eskapaden ihres Ehemannes leidenden Frau zu verstehen, die sich einredet, da müsse sie jetzt durch und sich zusammenreißen, aber gleichzeitig fast am Vertrauensverlust zum Partner zerbricht und resigniert. Sie verlangt von sich und ihrem Partner Treue. Und nur er hält sich nicht daran. Ein Eheverständnis, das insbesondere in den 50er und frühen 60er Jahren noch stark verbreitet war: Männer sind Playboys. Ihren Frauen bleiben der Haushalt, Kinder und Kirche und ihre „bitter tears“.

Wenn man das Stück in diesem Sinne versteht – und ich finde aus heutiger Sicht drängt sich diese Lesart geradezu auf – ist es nicht reaktionär, sondern sogar sozialkritisch, da es den Finger mitten in die Wunde legt und auf das große Ungleichgewicht zwischen den Partnern in so einer traditionellen Paar-Beziehung hinweist und geradezu dazu auffordert, nicht um jeden Preis zu leiden, sondern im Fall des Falles auch den Schlussstrich zu ziehen.

Das zuvor beschriebene überkommene Eheverständnis hat Wynette sicher nicht geteilt, aber es wurde von ihr – wie sie später berichtete – bei Frauen ihrer Familie beobachtet: aushalten um jeden Preis. Als 1992 die spätere First Lady Hillary Clinton bei einem Fernsehinterview nach einer Affäre ihres Mannes selbstbewusst sagte, „I’m not sitting here like some little woman standing by my man like Tammy Wynette“ geriet sie schwer mit der First Lady of Country Music aneinander. Wynette entgegnete entrüstet, dass sie sich fürchterlich über diese ätzende Bemerkung ärgere und wies Clinton darauf hin, dass diese jeden, der es aus eigener Kraft geschafft habe und ebenso jeden Countrymusik-Fan beleidigt habe. Clinton entschuldigte sich aufrichtig und Wynette spielte schließlich im damaligen Präsidentschaftswahlkampf sogar bei einem Bill-Clinton-Fundraiser.

Man könnte diesen Vorfall noch damit kommentieren, dass Hillary Clinton schon damals und besonders auch später 1998 in der sogenannten Lewinsky-Affäre genau nach ihrer Lesart von „Stand By Your Man“ handelte. Was für Frauen in den 90er Jahren in den USA längst normal war, galt noch lange nicht für eine Politikergattin und erst recht nicht für die First Lady der USA. Diese musste sich dem im puritanischen Amerika propagierten Bild einer ihren Mann immer treu und stets ohne großen Widerspruch unterstützenden Ehefrau unterordnen – böse Ironie des Schicksals.

Wie Tammy Wynette immer mal wieder sagte, überhören viele Leute oft die entscheidende Zeile des Stücks: After all he’s just a man. Ja, der betrügende Scheißkerl ist es überhaupt nicht wert, dass man sich über ihn ärgert. In vier ihrer fünf Ehen war es dann auch immer Wynette, die ihre Partner verließ. Neben ihrem letzten Mann, mit dem sie bis zu ihrem Tod 20 Jahre verheiratet war, hatte Tammy Wynette nur zu einem anderen Mann eine Beziehung von solch annähernd langer Dauer: Dies war ihre Arbeitsbeziehung zu ihrem Entdecker und Produzenten Billy Sherrill.

In diesem Sinne: Stand by your man, until It stops making sense.