Zum sechzigsten Todestag von Hank Williams
Country-Ikone, Hillbilly-Shakespeare, Songwriter-Gott – die Titel und Bezeichnungen, die man in den vergangenen Jahrzehnten Hank Williams verliehen hat, sind vielfältig. Sie alle hatten und haben die Absicht, den Mann zu charakterisieren, der wie kein zweiter außer Jimmie Rodgers, die moderne Country Music geprägt hat. Dieser Mann ist vor sechzig Jahren, am Neujahrstag 1953, im Alter von erst 29 Jahren, gestorben.
War Rodgers der „Godfather of Country Music“, der durch die Mischung von weißer und schwarzer Old Time Music mit einem Schuss Blues Grundlagen schaffte, so war Hank Williams, der erste Singer-Songwriter-Popstar der Country Music.
Der „Messias“ des Hillbilly, dessen Werk und Wirken viele Ansätze dessen hatte, was später Elvis Presley, Johnny Cash und Bob Dylan – die großen Drei der amerikanischen roots-orientierten Populärmusik – ausformen sollten: Sexyness und Bühnenpräsenz, Glaubwürdigkeit durch Herkunft und geniales Songwriting.
Schöpfer vieler Klassiker und Prototyp: Hank Williams als Songwriter und Performer
Hank Williams ist als Songwriter eine Klasse für sich. Aus seiner Feder stammen unvergängliche Songs wie „Cold, Cold Heart“, „Hey Good Lookin'“, „Jambalaya“ oder „I Saw The Light“. Songs, die bis heute tausende Male nachgespielt und gecovert worden sind.
Dabei war sein Songwriting auf unspektakuläre Weise genial. Keine ausladenden, bildreichen Geschichten, kein literarisch beschlagenes, musikalisches Schriftstellertum, sondern Instinkt und Talent, gepaart mit Cleverness, um das, was ihn umtrieb, möglichst originell in höchstens drei Minuten unterzubringen. „Seine Texte hatten Rhythmus und Fluss. Sie waren einfach zu singen. Williams‘ Gebrauch der Betonung und Wiederholung von Konsonanten ließen die Wörter in das Unterbewusstsein des Hörers eindringen. Die Wirkung der Songs wuchs und breitete sich aus“, erklärt die CBS-Radio-Produzentin Cathy Irving das Geheimnis der Williams’schen Songlyrik.
Seine Tochter Jett bringt es auf den Punkt, wenn sie davon spricht, dass seine Songs keine immer gleiche Struktur hatten: „I’m So Lonesome I Could Cry“ hat vier Verse und keinen Refrain. Oder schauen Sie auf Kaw-Liga. Ich kenne keinen Song, bei dem die Verse so sehr im Hintergrund sind und für den Refrain in den Vordergrund drängen. Das Versmaß des Songs macht diesen Song aus. Kaw-Liga war ein ‚Novelty-Song‘, aber aufgrund seiner einzigartigen Struktur war er innovativ.“
Williams reifte als Songwriter in jungen Jahren erstaunlich schnell und sicher versorgten seine schwierigen persönlichen Verhältnisse – Scheitern der Ehe mit seiner Frau Audrey, Alkohol- und Drogenprobleme, seine zweite Ehe mit Bille Jean Jones und das Auf und Ab seiner Karriere – ihn mit genügend Themen und Motiven für seine Songs.
Ironie der Geschichte ist sicherlich, dass Hanks Durchbruch als Sänger und Performer ausgerechnet mit „Lovesick Blues“ (Cliff Friend/ Irving Mills) aus fremder Feder gelang. Aber hierzu trug natürlich seine Fähigkeit, Songs kongenial für seine Zwecke zu adaptieren, entscheidend bei. Erst Hanks schleppender Gesang und sein trauriges Jodeln gaben dem Song die Tiefe und Wirkung, die er vom Notenblatt abgespielt, nicht besaß.
Hank Williams gilt als der Begründer des modernen Songwriting und nahm die spätere Singer-Songwriting-Bewegung vorweg. Er schrieb seine Songs selbst und war gleichzeitig deren Performer. Auch hier schuf er mit seiner Art der Vortragskunst für seine Zeit etwas Neues. Denn seine Bühnenpräsenz war beeindruckend natürlich. Er wirkte lässig und dennoch ernst und immer authentisch. Seine Shows waren schnörkellos und nur er, seine Stimme, seine Songs und seine Musik standen im Mittelpunkt. Er suggerierte seinem Publikum: Hier steht kein Unterhaltungskünstler mit Nummernprogramm, hier steht einer, der es ernst meint und eins ist mit seinen Liedern. Und das obwohl – oder gerade weil? – die Country Music Shows im Radio zum Teil ganz offen als Werbeveranstaltungen örtlicher oder regionaler Unternehmen dienten.
Die Musikfamilie Williams: Hank und die nachfolgenden Generationen
Und Hank Williams ist auch der Begründer einer Musik-Dynastie. Sein leiblicher Sohn Hank Jr. wurde schon früh darauf getrimmt, auf der Bühne zu stehen und für den Lebensunterhalt seiner Mutter Audrey und ihm zu sorgen, ehe er sich musikalisch und persönlich von den Fesseln befreite. Vielleicht sind diese verlorene Jugend, aber auch seine eigene Suchtgeschichte, die Ursachen für seine heftigen Ausbrüche in politisch obskure Gefilde. War sein Markenzeichen über Jahre harter Country-Rock, so fällt er in den letzten Jahren leider weniger musikalisch, als mit politischen Ausfällen auf. Er vergleicht Obama mit Hitler, wirft ihm vor Moslem zu sein, der gegen Fischen und Jagen und für Schwule sei. Williams geriert sich als reaktionärer Redneck und erntet im politisch polarisierten Amerika leider auch noch Zustimmung bei einigen Country-Fans.
Während er damit den guten Namen belastet, leistet seine Halbschwester Jett, hervorgegangen aus dem kurzen Intermezzo von Hank mit Bobbie Jett, wichtige Arbeit am musikalischen Vermächtnis ihres Vaters. Die Veröffentlichung von Hank Williams‘ „Mother’s Best Flour Shows“ ist ein Meilenstein und gab der Williams-Rezeption neue Impulse. Jett, die lange Jahre dafür kämpfen musste, als Hanks Tochter anerkannt zu werden, ist als Countrymusikerin selbst allerdings nur leidlich erfolgreich.
Wie so oft, ist es auch hier die Enkel-Generation, an die sich das Talent weiter vererbt hat. Hank Williams III ist schon von der Optik her Hank Senior sehr ähnlich. Seine Bühnenpräsenz und seine Beherrschung der verschiedensten Country-Spielarten weisen ihn als äußerst versierten Musiker aus. Enkelin Holly Williams dagegen hat die Songwriting-Künste ihres Großvaters geerbt. Ihre Alben bestechen durch feine, gefühlvolle Songs.
Hank Williams‘ ungebrochene und universelle popkulturelle Bedeutung
Und doch bleibt die Frage, was uns in der globalisierten Welt, in der Amerika seinen Führungsstatus verliert, heutzutage noch ein Hinterwäldler-Singer-Songwriter zu sagen hat. Antwort: Immer noch sehr viel. Denn die amerikanische Populärmusik hat in allen eigenständigen nationalen Popmusiken bzw. der globalen Popmusik ihre Spuren hinterlassen. Wenn heute ein Sänger seine Gedanken zu Worte und Musik gerinnen lässt – ob in China, Japan, Russland oder Algerien – so ist er geprägt und beeinflusst von der globalen Popkultur, für deren Segment Singer-Songwriter Hank Williams Pionierarbeit geleistet hat.
Denn er hat so unterschiedliche Songwriter wie Buddy Holly, Chuck Berry, Roy Orbison, Leonard Cohen, Bruce Springsteen, Steve Earle und Bob Dylan inspiriert, die wiederum „Rolemodel“ für viele junge Songwriter rund um den Erdball waren und sind. Dylan, sozusagen der „Dichterfürst“ der modernen Popmusik, nennt explicit ihn als Vorbild und preist seine Dichtkunst: „Ich merkte, dass in Hanks Songs die archetypischen Regeln des Songwriting enthalten waren. Die Architektur der Songs war wie Säulen aus Marmor.“
Aber auch mit seinem tragischen Sterben war er für die Popmusik archetypisch. Sein durch Alkoholexzesse und Medikamentenmissbrauch hervorgerufener allzu früher Tod während einer Nachtfahrt im winterlichen Tennessee, nahm das tragische Sterben so vieler Popstars vorweg: Buddy Holly, Brian Jones, Jim Morrison, Jimi Hendrix, Janis Joplin, Elvis Presley, John Lennon. Allesamt haben sie ihre Kreativität, ihren künstlerischen und kommerziellen Erfolg und ihre öffentliche Bedeutung mit ihrem Leben bezahlt. Ob Unglück während der Tourneehetze, Tod durch Drogen oder die Ermordung durch psychopathische Fans – der Popmusikzirkus frisst seine Stars bei lebendigem Leibe. Da muss man schon einen starken Willen haben, um nicht in diese Falle zu treten. Bob Dylan hatte sie, als er sich mit seinem Motorrad 1966 auf die Straße legte, und damit dem damals für ihn unmenschlichen Tourneezirkus entging.
So ist Hank Willams‘ Bedeutung nicht nur für die Country Music, sondern für die Popmusik insgesamt längst überlebensgroß. Gedenken wir daher in diesen Tagen vor allem dem einfachen Jungen aus Alabama, der an der Welt zugrunde gegangen ist, und ihr dennoch so viel Unvergängliches hinterlassen hat. Rest in Peace, Hank!
Aktueller Album-Tipp: Hank Williams – The Lost Concerts
Im vergangenen Jahr wurden aus Hank Williams‘ Nachlass zwei bisher unveröffentlichte Live-Mitschnitte aus dem Jahr 1952 veröffentlicht. Ein einzigartiges Zeugnis von Hank Williams‘ künstlerischem Wirken.
Trackliste:
Niagara Falls, New York: April 25, 1952: 01. Comedy with Hank and the Drifting Cowboys Sunset Park, West Grove, PA: July 13, 1952: 10. Introductions |