„Another Self Portrait“ oder wie sich Bob Dylan in Country & Folk verortete
Der Hype war mal wieder groß. Und wieder einmal zu Recht. Denn Another Self Portrait, die neueste Veröffentlichung der Bob Dylan-Bootleg-Series ist der Jubiläumsausgabe als 10. Folge absolut würdig. Denn hier findet nicht nur die Ehrenrettung eines jahrzehntelang diskriminierten Albums statt, sondern hier wird eine völlig unterschätzte Periode in Dylans Schaffen neu entdeckt, die bis zum heutigen Tag – aller Häutungen des Chamäleons Dylan zum Trotz – eines seiner zentralen künstlerischen Fundamente geblieben ist.
Die Periode aus der diese Aufnahmen – Outtakes, Live-Mitschnitte, Demoversionen, von Overdubs befreite Originalversionen – stammen, ist der Zeitraum von 1969 bis 1971. Wir erinnern uns: Bob Dylan war in schwindelerregender Geschwindigkeit vom Protestsänger-Star zur Folk-Rock-Ikone aufgestiegen bis es ihm gelang, 1966 mittels der Rekonvaleszenz nach einem Motorrad-Unfall aus der Tretmühle des Rock-Zirkus zu entkommen.
Nachdem er wieder hergestellt war, spielte er mit seinen Kumpels von der damaligen Begleitgruppe „The Band“ von Frühjahr bis Herbst 1967 im Keller seines Hauses „Big Pink“ in Woodstock mehr als hundert Traditionals aus Folk, Country, Blues und Gospel rauf und runter und ließ das Tonband mitlaufen. Die Aufnahmen sollten erst 1975 in Bruchstücken veröffentlicht werden. 1968 folgte dann sein erstes Album nach dem Unfall: John Wesley war ein sparsam instrumentiertes Country & Folk-Album, das von seinen Anhängern goutiert wurde. Doch 1969 dann der große Aufreger: Dylan schlägt auf „Nashville Skyline“ ganz andere Töne an. Zuckersüßer Nashville Sound. Dazu auf der Platte und dann auch im Fernsehen die Duette mit Johnny Cash, dem Vertreter der angeblich durchweg reaktionären Countrymusik. Die Gegenkultur steht Kopf ob der vermeintlichen Verirrung einer ihrer Protagonisten.
1970 erscheint dann „Self Portrait“. Das Album, gefüllt mit Pop-, Country- und Folkstandards provoziert heftige Ablehnung, die im berühmten Ausruf „What ist this shit?“ vom Rock-Kritikerpapst Greil Marcus kulminiert. Doch was war wirklich geschehen rund um Bob Dylan, der Ikone der amerikanischen Gegenkultur? Nein, reaktionär war dieser Mann nicht geworden. Nur künstlerisch konsequent bis zur Schmerzgrenze. Während sich die Rockkultur mit Psychedelic, Kunstmusik und bunten Seifenblasen für Oberschichtskinder immer mehr von ihren Wurzeln in der amerikanischen Volksmusik entfernte, machte Dylan den radikalen Schnitt. Dylan verortete sich in diesen Zeiten ganz klar im Song in der Tradition der schwarzen und weißen amerikanischen Volksmusik. Folk und Country, das wiederum ohne die Einflüsse des Blues nicht denkbar ist. Dazu ein bisschen Pop vom Great American Songbook – Sinatra, Dean Martin, Bing Crosby.
Erst mit New Morning, dem zweiten Album, das Dylan 1970 herausbringt, versöhnt er seine Kritiker wieder. Folk und Blues, dazu selber komponierte Songs mit beachtlicher Qualität – Dylan scheint wieder in der Spur. Aber – war er jemals draußen?
Das soeben erschienene Doppel-Album „Another Self Portrait (1969-1971). The Bootleg Series Vol. 10“ schlägt nun den Bogen von „Nashville Skyline“ zu „New Morning“. Quasi vom „Sündenfall“ bis zur „Wiederauferstehung“. Indem es hinter die Kulissen blickt und die großartige Musik zusammenfasst, die entweder gar nicht veröffentlicht oder nur verwässert und überschminkt veröffentlicht wurde. Damit entsteht ein faszinierender Einblick ins Dylan-Laboratorium jener Tage. Ein Album schreibt Musikgeschichte, weil es die verborgene Geschichte aufspürt. Und den Hörer mit auf eine faszinierende Musikreise nimmt. Und er entdeckt: Dieser Bob Dylan bleibt sich stets treu, auch wenn es nach außen anders aussehen mag, weil die öffentliche Wahrnehmung für Wahrheit und Differenzierung weniger empfänglich ist, als für die schnelle Skandalisierung.
„Another Self Portrait“ enthält in der Normalausgabe 35 Aufnahmen, die zwischen dem 14. Februar 1969 – „Country Pie“ von den Nashville Skyline Sessions- und dem 5. Juni 1970 – „New Morning“ von den Sessions für das gleichnamige Album – datieren. Sie zeigen einen Dylan, der alles andere als in einer künstlerischen Sackgasse steckt. Seine Performances sind durchweg kraftvoll und inspiriert, sein Gesang ausgesprochen expressiv und seine Stimme in klarer Rauheit liegt genau richtig zwischen dem „Tuberlosekranken“ der ersten Platten und dem süßlichen Crooner von „Nashville Skyline“.
Und wie in späteren Jahren auf „Good As I Been To You“ und „World Gone Wrong“ – und hierzu sollte man auch die „Self Portrait“-Phase ins Verhältnis setzen – eignet sich Dylan Fremd- und Eigenmaterial so souverän an, dass kein Unterschied zu erkennen ist. „Thirsty Boots“ von Eric Andersen wird in seiner Version ein richtiger Dylan-Song und das Alternate Take von „If Not For You“ wird trotz – oder gerade wegen? – des für Dylan ungewöhnlichen Geigeneinsatzes eine echte Dylan-Pretiose, weil seine Stimme und seine Haltung beim Singen eben unverwechselbar sind.
Weitere Highlights auf der mit Höhepunkten gespickten Zusammenstellung sind das von Tom Paxton geschriebene „Annie’s Going To Sing Her Song“, das traditional „Pretty Saro“, das bislang unveröffentlichte New Morning-Outtake „Working On A Guru“ (er belustigt sich über den damaligen Zeitgeist!), „Tattle O’Day“ (ebenfalls im Original von Eric Andersen) sowie die Demoversion seines späteren Klassikers „When I Paint My Masterpiece“.
Ergänzt werden die beiden CD’s um ein hübsches Booklet mit vielen Dylan-Bildern aus der damaligen Zeit sowie einem Essay von Greil Marcus (!), der seinen damaligen Verriss relativiert und in den Zeitzusammenhang stellt. Dieses Album istbereits in dieser Form ein absolute Edelstein. Unglaublich, auf welch hohem Niveau allein die Musik steht, die dieser Mann nicht veröffentlicht hat!
Natürlich gibt es – wie heutzutage üblich – noch eine DeLuxe-4-CD-Version, die weitere wunderbare Pretiosen enthält: Der Mitschnitt des legendären Isle of Wight-Gigs von 1969, als er zum ersten Mal seit 1966 mit The Band ein ganzes Konzert gibt, eine remasterte Fassung des original Self Portrait-Albums sowie zwei Hardcover Büchern mit Texten und Bildern.
Fazit: Musikgeschichte zum Hören und staunen. Ein Meilenstein!
Die CD Another Self Portrait – The Bootleg Series Vol. 10 – Bestellen, Format, VÖ. und Label:
Künstler / Albumtitel: Another Self Portrait (1969-1971). The Bootleg Series Vol. 10 Format / Label / Veröffentlicht: Doppel-CD ( Columbia, Sony Music 2013) |
Trackliste: (CD 1)
01. Went To See The Gypsy (Demo) |
Trackliste: (CD 2)
01. If Not For You (Alternative Version, New Morning) |