Inside Llewyn Davis – eine wahre Fundgrube für Folk- & Countryfreunde!
Der neue Film der Coen-Brothers ist einer ihrer Besten: Starke Story, starke Typen, absurd-komische Situationen und viel Witz. Bereits so funktioniert Inside Llewyn Davis tadellos und begeistert. Für Musikfreunde aber ist er ein Eldorado. So stelle ich mich – angelehnt an Steve Earle – mit meinen Cowboystiefeln auf den Kaffeetisch eines jeden Folk- und Countryfreundes und sage: „Diesen Film muss man gesehen haben!“
Mit leichter Hand schildern die Coens – begleitet von der kongenialen Soundtrack-Komposition T-Bone Burnetts – wichtige Musikgeschichte. Greenwich Village, New York, Anfang der 1960er Jahre: Bevor Bob Dylan kam. Und das nur durch filmische, szenische oder musikalische Zitate. Und streifen dabei auch einmal Nähe und Distanz zwischen städtischer Folkszene und ländlicher Countrymusik. Großartig!
Die Filmfigur „Llewyn Davis“ (Oscar Isaac) ist angelehnt an Motive der Biografie von Dave van Ronk, der vor Dylan unumschränkter „König von Greenwich Village“ war. Ebenso wie Llewyn Davis hatte er keinen großen Erfolg, über die enge Folkszene hinaus blieb er stets nur ein Geheimtipp. Die Coens schildern also den steten Misserfolg eines Künstlers, während am Horizont schon der zu erkennen ist, der die ganze Musikgeschichte revolutionieren wird.
Natürlich ist Bob Dylan eine wichtige Inspirationsquelle für diesen Film und so entdecken Folkfreunde einiges bekanntes während der 105 Minuten, die uns dieser Film auf eine musikalische Zeitreise nimmt. Das Gaslight Cafe – wichtiger Handlungsort im Film – war eine wichtiger Auftrittsort für die Folkszene. Auch Bob Dylan begann hier und eine seiner frühesten Live-Aufnahmen wurde dort mitgeschnitten. Zentraler Platz des Village ist der Washington Square. Da, wo Llewyn und Jean ihre Beziehungsprobleme diskutieren bzw. er von ihr mit einer Kanonade von Schimpfwörtern bedacht wird, war auch der öffentliche Treffpunkt der Folkszene.
In vielen Details merkt man wie viel Spaß die Coens und Burnett dabei gehabt haben müssen, Typen, Begebenheiten und musikalische Entwicklungen dieser Zeit aufzuspießen. Da begegnen wir dem liberalen Professoren-Ehepaar von der Upper West Side, die immer gerne jungen Musikern Obdach bieten. Wir treffen bei einer Studiosession einen Folker mit Cowboyhut, der natürlich angelehnt an Ramblin‘ Jack Elliott ist. Der arrogante Jazzer, der so großartig von John Goodman gespielt wird, orientiert sich frei an Doc Pomus und Dr. John. Manager Bud Grossman ist natürlich Dylans Manager Albert Grossman, der das Erfolgstrio „Peter, Paul & Mary“ zusammenstellte. Im Film hätte Llewyn ein Teil davon werden können. Leider verpasst er die Karrierechance. Und die vier Iren in den schlimmen Pullovern mit ihrer eindrucksvollen Version vom Traditional „The Auld Triangle“ haben ihre historischen Vorbilder natürlich in den „Clancy Brothers“, die – ganz typisch – Ihre Stimmen mit größeren Mengen von Guinnes und Whiskey ölten, zum engeren Kreis um Bob gehörten, und auch bei dessen 30jährigem Plattenjubiläum 1992 im Madison Square Garden mit dabei waren.
Eine besonders böse Anspielung gelingt den drei Film- und Musikschaffenden dann bei der Szene, die dazu führt, dass der erfolglose Folkie auch noch zusammengeschlagen wird. Die ältliche Folkmusikerin mit der Autoharp ist nämlich keine Großstadt-Szenefrau, sondern eine einfache Frau vom Land, die einfach die Musik spielt, mit der sie aufgewachsen ist. Hier schwingen natürlich Personen wie Jean Ritchie aber eben auch Maybelle und June Carter mit. Schließlich haben sie diesem Instrument beispielsweise bei „Wildwood Flower“ viel Aufmerksamkeit beschert. Für den völlig frustrierten Llewyn Davis ist die arme Frau ein gefundenes Fressen und er beschimpft sie derb und anzüglich. Und wenn unser erfolgloser Held dann von dem hochgewachsenen cowboyartigen Typen, der stets im Halbschatten bleibt, vermöbelt wird, dann tritt im übertragenen Sinne die einfache Country-Bevölkerung den Folkvettern aus dem bildungsbürgerlichen Mittelstand mal so richtig in den Hintern!
Und so könnte man noch viele, viele Einzelheiten aufspießen. Natürlich taucht am Ende Bob Dylan – wenn auch nur im Halbschatten – auf. Es spielt an dem Abend, an dem Llewyn Davis zusammengeschlagen wird, das Konzert, das ihm die Karriere fördernde, begeisterte Besprechung von Robert Shelton in der New York Times einbringt.
Wie gesagt, den Film muss man gesehen haben. Und meiner Meinung nach auch gerne mehrmals. Denn es gibt immer noch was zu entdecken. Ein schier unerschöpflicher Fundus.
Fazit: Kult- und Klassikerkino! Gut 13 Jahre nach „O Brother, Where Art Thou“ liefern die Coens und T-Bone Burnett erneut einen Geniestreich ab!