The Felice Brothers: Undress
Ende der 2000er waren sie unter den hellsten aufgehenden Sternen am Neo-Folk & Americana-Himmel. Nach wechselvollen Jahren laufen sie in neuer Besetzung und mit neuem Album wieder zu großer Form auf.
Ihre Rumpel-Folk-Rock ist ihr Markenzeichen und die Vergleiche mit Bob Dylan & The Band sind legendär. The Felice Brothers rockten mit ihrer erdig-ungestümen Musik und Songs wie „Frankies Gun“ oder „Greatest Show In Earth“ die Americana-Szene Ende der 2000er bis Anfang der 2010er Jahre. Doch während Mumford & Sons heute in den großen Hallen spielen, heißen die Auftrittsorte der Felice Brothers auch 2020 in Deutschland immer noch Luxor in Köln oder Knust in Hamburg. Nicht dass sie seitdem untätig gewesen wären. Im Gegenteil: In schöner Regelmäßigkeit erschienen neue Platten der Truppe rund um die Brüder Ian und James Felice. Doch der Major-Deal fand nicht statt. Keine Musik für Werbung, keine Zusammenarbeit mit Top-Produzenten, keine Crossover-Promo-Aktionen, die sie einer breiteren Masse hätten zugänglich machen können.
Sie machten einfach weiter Musik als Band und blieben der ewige Geheimtipp für „ehrliche Musik“. Doch ihr Bandleben hatte Höhen und Tiefen. Ihr Album „Celebration Florida“ (2011) wurde auch unter der Anhängerschaft kontrovers aufgenommen. Ihr letztes Album „Life In The Dark“ vor drei Jahren hatte aber durchaus wieder die guten Felice-Momente in Songs wie „Aerosol Ball“.
Die große Veränderung aber deutete sich an, als Songwriter und Leadsänger Ian in seinen Texten immer politischer wurde, einen Gedichtband vorlegte und Vater wurde, während Bruder James und der Rest der Truppe im Jahr 2017 mit Conor Oberst tourten. Als sie zurückkamen wurde Greg Farley (Geige) und Josh Rawson (Bass) immer klarer, dass sie sich nun neuen Ufern zuwendeten wollten.
Doch just als James Felice dachte, nun ist die Geschichte von „The Felice Brothers“ wirklich auserzählt, stießen sie auf die Bassistin Jesske Hume (Conor Oberst, Jade Bird) und den Schlagzeuger Will Lawrence und siehe da, ein neuer Geist beflügelte sie. Sie hatten wieder Spaß am gemeinsamen Musizieren. Die Felice Brothers waren wieder da: „Es fühlte sich immer so zerbrechlich an, wenn ich drüber nachdachte“, sagt James über die Felice Brothers. „Aber es existiert immer noch, irgendwie.“
Undress – das Album!
Der Titelsong ist auch auf diesem Album wieder programmatisch zu verstehen. Ian Felice schreibt Songs über Gier, Kapitalismus und die politische Situation in den USA. Und wie ihm das gelingt ist großartig. In Undress entkleidet er Amerika. Republikaner, Demokraten und Evangelikale sind nur die Gewänder, dahinter prägen immer mehr Big Business, Rassismus und gesellschaftliche Regression die Gesellschaft.
Dass Ian Felice immer wieder mal als Songwriter mit Bob Dylan verglichen wird kommt nicht von ungefähr. „Holy Weight Champ“ ist eine surreales Folk-Epos, das mit teils absurden, teils realistischen Bildern eine absolut treffende Zustandsbeschreibung Amerikas abgibt.
Die Felice Brothers wären nicht die Felice Brothers und ihre Texte könnten nicht ihre Wirkung entfalten, wenn all die Worte nicht in wunderbarer Musik eingekleidet wären. Einer Musik, die zwar immer noch im eingängigen Rumpel-Folk-Rock verhaftet ist, aber dennoch einige Verfeinerungen wie Saxophon oder Klavierbegleitung erfährt, und somit ein Stück weit auch reifer wirkt. Aber vor allem: Diese Platte ist unterhaltsam vom ersten bis zum letzten Ton.
Denn die Familie Felice versteht sich darauf, nicht nur zu mahnen und zu klagen, sondern auch stets Witz und Hoffnung zu verbreiten. Denn sie sind empathisch und menschenfreundlich. Und auch damit ganz bei ihren Vorbildern wie Woody Guthrie, der einem bei „Salvation Army Girl“ oder „The Kid“ sofort in Erinnerung gerufen wird. Und wie alle seine Vorbilder weiß auch Ian Felice, wie nah zusammen Ruhm und Verfolgung für kritische Geister und Dichter liegen können. Im Abschlusssong „Socrates“ malt er sich aus, was mit ihm in einem totalitären Amerika passieren könnte.
So ist diese Platte bislang eines der stärksten Statements zur Lage der Nation in diesem Jahr. Und ebenso auch ein Statement für die Notwendigkeit dieser Band aus den Catskill Mountains in New York.
Fazit: Eine ganz starke Rückkehr der Felice Brothers. Bereits jetzt amerikanische Klassiker!
The Felice Brothers – Undress: Das Album
Titel: Undress
Künstler: The Felice Brothers
Veröffentlichungstermin: 17. Mai 2019
Label: Yep Roc Records
Vertrieb: (H’art)
Formate: CD, Vinyl & Digital
Laufzeit: 46:59 Min.
Tracks: 12
Genre: Americana, Folk-Rock
Trackliste: (Undress)
01. Undress
ß2. Holy Weight Champ
03. Special Announcement
04. Nail It On The First Try
05. Salvation Army Girl
06. Poor Blind Birds
07. TV Mama
08. The Kid
09. Hometown Hero
10. Jack Reminiscing
11. Days Of The Years
12. Socrates