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Bob Dylan: Rough And Rowdy Ways

Ein spätes Meisterwerk: Das neue Album des Songwriter-Papsts und Nobelpreisträgers ist voller von Ironie und Humor durchzogenen Reflexionen über Amerika und die eigene Sterblichkeit.

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Bob Dylan - Rough And Rowdy Ways Bob Dylan - Rough And Rowdy Ways. Bildrechte: Columbia, Sony Music

Mitten in der Pandemie veröffentlichte Bob Dylan drei neue Songs und kündigte ein neues Album an. Das erste mit neuen Originalsongs seit acht Jahren. Und Rough And Rowdy Ways ist ein atemberaubendes Werk voller stoischer Ruhe, großer Ironie und Fatalismus angesichts der eigenen Sterblichkeit, aber auch mit großer Klarsicht auf die historisch gewachsenen Verhältnisse in Amerika geworden. Und damit passt dieses Album in diese Zeiten in denen Amerika in drastischer Weise mit seinen Lebenslügen Rassismus, Polizeigewalt und „Big Money Makes Politics“ konfrontiert wird.

Selbstporträts

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Los geht es mit dem bereits vorab veröffentlichten „I Contains Multitudes“, einer Art Selbstporträt. Dylan erinnert damit an Walt Whitman, einem der literarischen Stammväter Amerikas, der in Songs of Myself, 51 – „Do I contradict myself? Very well then I contradict myself. I am large, I contain multitudes.“ – genau dies schon festhielt, was auch Dylan hier für sich reklamiert: Ich bestehe aus vielem, vor allem auch aus Widersprüchen. Ein fein gesponnenes, waghalsig poetisch komponiertes Werk, indem er in einem Vers Anne Frank, Indiana Jones und die Rolling Stones zusammenbringt, um die Fülle seiner Identitäten anzudeuten.

„False Prophet“ erweitert den Rahmen der Selbstreferenz um Passagen, die durchaus auch gegen die herrschende politische Administration in den USA gemünzt sein können: „Hello stranger. A long goodbye. You ruled the land. But so do I. You lost your mule. You got a poison brain. I’ll marry you to a ball and chain.“ Das Artwork zur Vorabveröffentlichung befeuerte diese Auslegung dann noch mit einer Illustration, in der man – wenn man wollte – den amtierenden Präsidenten in hoffnungsloser Lage entdecken konnte. Gleichzeitig ist aber dieser „False Prophet“ gleichzeitig eine Charakterisierung Dylans, die er aber strikt von sich weist: „I aint no false prophet. I just know what i know.“ Es ist letztlich auch eine Neuauflage des alten Schwurs „It Ain’t Me Babe!“

Im Alter scheint Dylan immer mehr Spaß am Horrorgenre zu haben. War „Soon After Midnight“ vom Vorgänger „Tempest“, die in zärtlichen Worten hingehauchte Selbsterzählung eines Frauenmörders, so ist „My Own Version of You“ eine Art Frankenstein-Geschichte. Bob, der Baumeister, erschafft sich eine Art Golem, um eine geliebte Person wieder zum Leben zu erwecken. Ein tragisch-komödiantischer Song, voller Dylan-typischem Humor: I take the Scarface Pacino and the Godfather Brando. Mix em up in a tank and get a robot commando.“

Dann die erste große musikalische Überraschung des Albums. Bei „Ive Made Up My Mind to Give Myself to You“ summt ein Männerchor im Hintergrund das Melodiemotiv der Barcarole aus Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“, davor singt Dylan im Walzertakt zärtlich-sentimentale Zeilen über Liebe und Tod: Hope that the Gods go easy with me. If I had the wings of a snow white dove. Id preach the gospel. The gospel of love.“ Unfassbar gut!

Und weiter geht es mit dunklen Visionen. Der „Black Rider“ der Apokalypse und des Todes ist dem Sänger auf den Fersen. Doch der will nicht kämpfen: „I dont wanna fight, at least not today. Und wieder Dylan-Humor: Go home to your wife. Stop visiting mine“. Nur um ihm dann doch eine ordentliche Portion Gewalt anzudrohen, wie es schon auf dem Vorgänger „Tempest“ gang und gäbe war: Dont turn on the charm. I’ll take a sword and hack off your arm. Nein, noch lässt sich Dylan nicht vom Sensenmann holen.

„Goodbye Jimmy Reed“ ist dann ein klingender Chicago-Blues zu Ehren einem der großen des Genres. Und Dylan geizt auch hier nicht populärmusikalischen und US-alltagsgeschichtlichen Referenzen: football and bible, a proclaimer creed. You wont amount to much the people all said. ‬Cause I didn’t play guitar behind my head”‬

Amerika als Muse

Mit der der zarten Folk-Ballade „Mother Of Muses“ folgt eines der zentralen Werke des Albums. Dylan besingt seine Muse und damit Amerika. Schon immer war Dylan jemand, der genau wusste um die Widersprüche und Verwerfungen des Landes. Schon in „With God On Our Side“ hatte er den gewalttätigen Aufstieg zur Weltmacht thematisiert. Hier nun treibt er die Widersprüche und die Dialektik von Aufklärung und Befreiung auf die Spitze wenn er singt: „Sing of Sherman, Montgomery, and Scott. And of Zhukov, and Patton, and the battles they fought. Who cleared the path for Presley to sing. Who carved the path for Martin Luther King“. Denn Shermans grausamer, vernichtender Feldzug durch Georgia brach die Kriegsmoral der Menschen im Süden. Eine Moral, einen Krieg weiterzuführen, in dem der Süden für sein Recht kämpfte, weiterhin Menschen zu versklaven. Und Patton, der im 2. Weltkrieg mit der US-Army Europa vom Faschismus befreite, war durchaus ein fragwürdiger Charakter. Doch beide bereiteten den Boden dafür, dass der weiße Presley die Musik der Schwarzen sang, die eine Nachkriegsjugend global adaptierte, als auch dass Martin Luther King die Bürgerrechte der Schwarzen einfordern konnte und Hoffnung auf politische Veränderung im Sinne der Menschen aufkeimte. Seit der junge Dylan in der New York Library die Zeitungen der Bürgerkriegsjahre geradezu verschlang, ist die amerikanische Geschichte und ihr ungelöstes Erbe von Sklaverei und Rassismus ein stetiger künstlerischer Antrieb für Dylan.
„Crossing The Rubicon“ ist eine dunkle poetische Parabel auf den Weg, auf dem es kein Zurück mehr gibt. Dylan schaut voller grimmiger Zuversicht und durchaus mit Charme auf diesen Weg: „Three miles north of purgatory, one step from the great beyond. I prayed to the cross and I kissed the girls and I crossed the rubicon.“

Die erste der beiden CDs schließt dann mit einem weiteren zentralen Song. „Key West“ – wieder eine Folkballade mit Akkordeon – erzählt vom Sehnsuchtsort an der Küste von Florida, der zur Metapher Dylans idealtypischen Amerikas wird. Sonnenumstrahlter Ort mit optimistisch-freigeistiger Haltung, der die Beatniks Ginsberg, Keouac und Corso ebenso anzog wie Hemingway. „Key West is paradise divine. Key West is fine and fair. If youve lost your mind. Youll find it there.

Schwanengesang

Und das Album wäre nicht komplett, wäre dann nicht die zweite CD mit dem Kennedy-Epos „Murder Most Foul“. Das 17-minütige epische Werk, das von der Ermordung John F. Kennedys aus zu einem Klagelied über den zerstörten amerikanischen Traum wird. Das, gespickt mit popmusikalischen Referenzen wie Songtiteln und Künstlernamen, ein Schwanengesang auf das amerikanische Jahrhundert ist. Welches gerade auch wegen der kulturellen Hegemonie zu einem amerikanischen Jahrhundert wurde. Weil Amerika mit Blues, Jazz, Folk und Rock’n’Roll, mit Woodstock und Wolfman Jack eben auch eine Musik der Befreiung lieferte. Damit zum Sehnsuchtsort wurde. Doch nichts mehr ist davon geblieben. Big Money, viele Kriege und ein charakterloser und irrlichternder Präsident lassen Amerika schrumpfen, bis es durch seine Widersprüche und Lebenslügen implodiert.

Fazit: Bob Dylans neues Album „Rough And Rowdy Ways“ ist ein Meisterwerk. In seiner unnachahmlichen Weise oszillieren Dylans Themen und Poesie zwischen der eigenen Sterblichkeit und dem Niedergang Amerikas. Einem Amerika, das aller Widersprüche und Verwerfungen zum Trotz immer auch Sehnsuchtsort blieb. Es ist Dylans Schwanengesang auf dieses Amerika der Vergangenheit. Es zeigt aber auf, was verloren zu gehen droht, wenn die Konflikte und Lebenslügen nicht sinnvoll überwunden werden. Dylans Poesie ist ungebrochen stark, sein Witz ist böse und sarkastisch, sein Anliegen human. Das Tempo scheint – ganz Alterswerk – manchmal stehen zu bleiben. Langsame und Mid-Tempo-Stücke, die aber nie langweilen, weil sie musikalisch abwechslungsreich sind. Und darüber thront Dylans Stimme, die so klar, prononciert und ausdrucksstark wie selten ist. Ganz große Kunst!

Bob Dylan – Rough And Rowdy Ways: Das Album

Bob Dylan - Rough And Rowdy Ways

Titel: Rough And Rowdy Ways
Künstler: Bob Dylan
Veröffentlichungstermin: 19. Juni 2020
Label: Columbia
Vertrieb: Sony Music
Format: Doppel-CD, Vinyl-Doppelalbum & Digital
Laufzeit: 70:36 Min.
Tracks: 10
Genre: Singer & Songwriter, Americana

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Trackliste: (CD 1)

01. I Contain Multitudes
02. False Prophet
03. My Own Version of You
04. Ive Made Up My Mind to Give Myself to You
05. Black Rider
06. Goodbye Jimmy Reed
07. Mother of Muses
08. Crossing the Rubicon
09. Key West

Trackliste: (CD 2)

01. Murder Most Foul

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Über Thomas Waldherr (845 Artikel)
Redakteur. Fachgebiet: Bob Dylan, Country & Folk, Americana. Rezensionen, Specials.
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