Justin Townes Earle: Single Mothers
Lang erwartet, legt nun in Kürze (VÖ. am 17. Oktober) des Americanas liebstes junges Genie – Justin Townes Earle, sein neues Album vor. Und das hört sich doch beträchtlich anders an, als das was man bislang von ihm hörte. Brach sich sein musikalischer Spirit und seine geniale Inspiration vormals zwischen persönlichen Katastrophen, einer unverarbeiteten Kindheit und Suchtproblemen seine Bahn, so sind sie nun der Output von glücklichem Eheleben und der Läuterung im Alter von 32 Jahren.
Herausgekommen ist ein sehr reduziertes, introvertiertes, persönliches Album voller (Selbst)-Reflexionen. Es fehlen die großen Ear-Catcher, stattdessen klingen die Songs wie aus einem Guss, gehen fast ineinander über. Eine intensive Hörstrecke. Wer die Zeit und Konzentration aufbringt, Juston Townes Earle zuzuhören, der darf sich über sehr gute Singer-Songwriter-Musik freuen.
Vier Longplayer, fast endlose Tourneen, Abstürze und Wiederauferstehungen, Erfolge bei Kritik und Publikum gleichermaßen, dazu viele Wendungen und Häutungen im musikalischen Bereich: Justin Townes hat in den letzten Jahren ein atemberaubendes Tempo hingelegt. Nun ist er clean und verheiratet und mit 32 an dem Punkt, eine erste Lebensbilanz zu ziehen. Und natürlich fällt diese Bilanz positiv aus. Entspannt im hier und jetzt. Natürlich gibt es hierfür genug Beispiele aus der Popgeschichte. Bob Dylan beispielsweise entdeckte während seiner „Family Years“ die Standards der Countrymusik, alte Folksongs und das American Songbook und veröffentlichte das von vielen für obskur gehaltene „Self Portrait“. Als hätte er nichts mehr zu sagen vor lauter Zufriedenheit. Und bediente damit die Denkfigur, die gleichermaßen oberflächlich wie zynisch ist: Ein glücklicher Mensch kann keine große Kunst hervorbringen.
Doch Dylan, die im letzten Jahr veröffentlichten Original Session Master-Aufnahmen von „Self Portrait“ (ohne Overdubs!) waren der Beweis, hat als glücklicher Mensch große Kunst hervorgebracht, und auch Justin Townes gelingt dies hier. Man muss nur genau hinhören, denn die emotionalen Abgründe und Cliffhanger, die großen Provokationen und das genial Unvermittelte fehlen in dieser Phase und auf dieser Platte. Stattdessen: Innerlichkeit und ruhige, und zugegeben auch bedrückende Einsichten in schönsten Worten, kennzeichnen die zehn neuen Songs von Justin Townes Earle.
Los geht’s mit „Worried Bout The Weather“, das sozusagen die Temperatur und die Themen-Bandbreite für dieses Album vorgibt. Ehrliche, persönliche Songs und hier konkret die Einsicht, auch immer wieder Menschen weh getan zu haben. Der Titeltrack „Single Mother“ ist eine Abrechnung mit und eine Verarbeitung der alten, längst vergangenen Zeiten. Der Vater, Steve Earle, selber von den Dämonen gequält, verließ Justin als er zwei Jahre alt war. Der Vater war in der Kindheit und Jugend einfach nicht da, gab dem Sohn den mittleren Namen seines guten Freundes Townes van Zandt aber keinen Dollar mit auf den Weg. Carol Ann Hunter Earle zog Justin in South Nashville als alleinerziehende Mutter auf. Immerhin bekam Justin einmal im Monat von Steve einen Stapel Platten geschickt. Später, als auch wegen dieser schweren Zeit sich die Dämonen Drogen und Alkohol immer mehr ins Justins Leben drangen, wurde er aus Steve Earles Band geschmissen. Verbrachte Anfang der 2000er zwei Jahre lang auf der Straße, ehe er sich wieder berappelte, ab 2007/2008 seine Solokarriere aufbaute und sich mit seinem Vater versöhnte. All das spiegelt sich in diesem Song.
Ganz anders das hier und jetzt: „Mein Baby fährt mich Sonntags zur Kirche, bringt mich dazu meine Mama jeden Montag zu sehen, man könnte sagen, ich bin der glücklichste lebende Mensch“, singt er in „My Baby Drives“. Die beiden vielleicht eindringlichsten Stücke auf der Platte aber sind die, auf denen Justin nur von seinem Pedal-Steel-Spieler Paul Niehaus begleitet wird. „Picture In A Drawer“ und „It’s Cold In The House“ sind herzerfüllte musikalische Vorträge voller Einsichten und Rückblicke.
Fazit: Justin Townes Earles Zwischenbilanz ist eine Platte voller Authentizität. Wir wissen, dass große Kunst nicht davon abhängt, da Fiktion und Masken genauso zur Kunst gehören. Aber dieses Album ist Justin Townes Earls bislang kunstvollstes. Ein Album, das beweist, dass Musik hören, schon auch mal zuhören bedeuten darf. Laute Musik, die uns überrumpeln will, gibt es eh schon genug. Hört dem Mann zu und ihr werdet viel über ihn erfahren. Wunderschöne Lebenszwischenbilanzmusik. Prädikat: Real Country!
Künstler / Albumtitel: Justin Townes Earle – Single Mothers Format / Label / Veröffentlicht: CD, Vinyl & Digital (Loose Music, Rough Trade 2014) |
Trackliste:
01. Worried Bout The Weather |