Justin Townes Earle: Absent Fathers
Nach „Single Mothers“ also nun Absent Fathers. Aufarbeitung einer Jugend, Teil Zwei. Justin Townes Earle wollte ursprünglich ein Doppelalbum herausbringen, hatte aber dann entschieden, zwei Alben zu veröffentlichen, um den Songs und Songzusammenstellungen mehr eigenes Gewicht zu geben.
Definitiv hat sich Earle richtig entschieden, wenn auch für den Hörer, wie ich meine, aus anderen Gründen. Zu opulent und ausgedehnt wäre die Idee auf einem Doppelalbum gewesen. Jetzt haben die Songs ihren eigenen Raum. Aber dennoch: Ganz große Zufriedenheit mag sich beim Hörer nicht einstellen. „Habe ich das nicht schon mal gehört?“ ist die Frage, die sich beim Lauschen des Albums immer wieder am eindringlichsten stellt.
Früher, so hat man den Eindruck, konnte Justin Townes Earle noch Songs mit Melodien schreiben, die im Hirn Platz nahmen und nicht mehr gehen wollten. Höhepunkt war das Album „Harlem River“ auf dem jeder Song gleichsam als Unikat besteht. War „Single Mothers“ noch ein Projekt, das nach schwieriger Jugend entspannt das hier und jetzt feierte und ein eindrucksvolles künstlerisches Werk war, scheint bei „Absent Fathers“ irgendwie die Luft raus. Die Songs plätschern so dahin und Justins Stimme wirkt manchmal zerbrechlich, aber oftmals auch seltsam monoton und konturlos, ohne Höhen und Tiefen. Irgendwie scheint ein Song sich nahtlos ohne Spannung an den anderen zu reihen. Musikalisch immer die gleiche Laid Back-Mucke.
Wenn die Musik schon nicht richtig zündet, stimmt die Message, packen einen die Texte, kommt die Botschaft an? Ja und wie! Der erste vorab veröffentlichte Song „Looking For A Place To Land“ sind ebenso wie „Call Ya Momma“ oder „Leat I Got The Blues“ textlich beeindruckende Meditationen über seine Entwicklung vom Trennungskind über den hochbegabten aber latent drogen- und alkoholgefährdeten Jugendlichen und jungen Erwachsenen hin zum entspannten, verheirateten, in sich ruhenden 32-Jährigen.
Und hier sind wir beim Mittelpunkt der Geschichte. Justin Townes Earle hat viel zu sagen und tut das auf hohem Niveau. Seine Texte sind persönlich, verletzlich, mitfühlend und versöhnlich. Darüber hat er aber leider die Musik vergessen. Kein Song, keine Melodielinie, die irgendwie im Gedächtnis bleibt. Vielleicht hätte hier ein energischer und erfahrener Produzent helfen können. So bleibt das Album ein sehr intellektuelles Vergnügen. Doch da populäre Musik mehr sein sollte, bleibt das nur ein halbes Vergnügen. Schade.
Fazit: Der zweite Teil der Selbstbespiegelung ist nicht so stark wie der erste. Tolle Texte ohne musikalische Eingebung ergeben in der Summe ein solides Album. Prädikat: Er kann es besser!
Künstler / Albumtitel: Justin Townes Earle – Absent Fathers
Format / Label / Veröffentlicht: CD, Vinyl & Digital (Loose Music, Rough Trade, 2015)
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Trackliste:
01. Farther From Me
02. Why
03. Least I Got The Blues
04. Call Ya Momma
05. Day and Night
06. Round The Bend
07. When The One You Love Loses Faith
08. Slow Monday
09. Someone Will Pay
10. Looking For A Place To Land