Mary Chapin Carpenter: The Dirt And The Stars
Die Country-Singer-Songwriterin überzeugt erneut mit nachdenklichen, optimistischen und auch schmerzenden Songs rund um "Veränderungen".
Sie ist eine Institution in der Country & Americana-Szene: Mary Chapin Carpenter. Spätestens seit ihrem dritten Album „Shooting Straight In The Dark“ 1990 ist sie auf der Erfolgsspur. Das Album wurde vergoldet, und die Single „Down At The Twist And Shout“ brachte ihr den ersten Grammy ein. Noch vier weitere sammelte sie in den 1990er Jahren ein. Seitdem gehört sie zu den klangvollsten Namen im Business.
Zwar sind die Zeiten der ganz großen Hits und Grammys seit längerem passè, doch ihre Musik ist keineswegs schlechter geworden, eher das Gegenteil trifft zu. Ihr letztes Studioalbum datiert aus dem Jahre 2016. Die Kritiken lobten „The Things That We Are Made Of“ in den höchsten Tönen. Die Associated Press nannte es „… eine eindrucksvolle Sammlung von Songs“, während The Huff Post erklärte: „… Carpenter ist jetzt auf dem Höhepunkt ihrer musikalischen Karriere… malte sie ein überzeugendes, relevantes Kunstwerk, das von gemischten Gefühlen der Trauer und Freude geprägt war, ohne unseren Geist mit Traurigkeit zu predigen oder zu verdunkeln.“
Und so hält sie es grundsätzlich auch bei ihrem neuen Album The Dirt And The Stars. Produziert von Ethan Johns (Ray LaMontagne, Paul McCartney, Kings of Leon) und komplett live in Peter Gabriels Real World Studios in Bath, im Südwesten Englands, aufgenommen, zeigt das Album die Singer-Songwriterin, wie sie in Zeiten von Corona über die intimen, persönlichen Momente des Lebens nachdenkt.
Variationen zum Thema Veränderungen
Über ihre neue Musik sagt sie: „Die Schriftstellerin Margaret Renkl hat einmal gesagt:“ Wir sind alle im Begriff zu werden. „Das hört nicht bei einem bestimmten Alter auf. Immer eine Studentin der Kunst, der Musik und des Lebens zu sein, wie sie sagt, ist für mich das, was das Leben lebenswert macht. Es ist sicherlich das, was mich dazu bringt, immer noch Songs zu schreiben.“
Und so legt sie ein Album vor, das mit majestätischer Ruhe diese aufgeregten Zeiten kontrastiert. Mit „Farther Along And Further In“ dem ersten Track legt sie gleich programmatisch vor und singt das hohe, schöne Lied der Veränderung. In feinen Worten hingehaucht. Weiter geht es mit „It’s Okay To Feel Sad“, das ein pragmatisch-fatalistischen Optimismus“ verströmt. Motto: „Wenn es Auf und Ab geht, Freude und Sorgen sich abwechseln, dann wissen wir, das mit uns alles in Ordnung ist.“
Wow! Hier singt eine, die mit sich im Reinen ist, weil sie weiß, „dass nichts bleibt wie es war“, wie Ihr großer deutscher Kollege Hannes Wader einmal gesungen hat. Weitere Kostproben: In „Everybody’s Got Something“ singt sie: „Du bist nicht der Erste, Du bist nicht der Letzte. Es könnte schlimmer sein, das wird vergehen. Ich weiß, dass Du verletzt bist, Du bist so sehr verletzt. Aber ein Licht scheint, um zu nähen und zu heilen. Eines Tages wirst Du Dich wieder finden. Es dauert einige Zeit“.
Und im beinahe-Titeltrack singt sie „Zwischen dem Dreck und den Sternen. zwischen dem Rauen und Glatten. dem Leichten und dem Harten. dem einsamen Klang der Einsamkeit. das ist genau so, wie mein Herz geformt ist“. Einsamkeit, die zum Leben dazugehört, wie Geselligkeit, wie Freude und Schmerz – alle diese ständigen Veränderungen variiert sie in gekonnter Weise zu unaufdringlichem Gitarrenspiel.
Poetin der zartbitteren Andeutungen
Doch wer glaubt, Mary würde mit es bei der melancholischen Innensicht belassen, haut sie mit „American Stooge“ einen Song über einen Südstaaten-Jungen raus, dem im abgelebten amerikanischen Traum am Ende nur die Rolle des Handlangers bleibt und der auch noch stolz darauf ist. Ein Junge, der sich in einer schwierigen Welt zum schlechten verändert. Ohne es einmal zu erwähnen, hat Mary Chapin Carpenter einen Trump-Anhänger porträtiert: Ein armer, weißer Verlierer. Ein Song, der im Thema nahe an „Cumberland Gap“ von Jason Isbell oder an Bob Dylans „Clean Cut Kid“ ist, aber das ganze viel poetisch-zärter und in Andeutungen erzählt. Eine zarte Skizze, kein Plakat.
Wie sehr Mary Chapin Carpenter mit Andeutungen arbeitet, zeigt sich auch in „Secret Keepers“. Es geht um Geheimnisse, die einen fertigmachen. Die nicht gut tun, wenn man sie behält, und nicht gut tun, wenn man sie rauslässt. Ob das ein Echo einer Missbrauchsgeschichte sein könnte? Oder andere dunkle Geheimnisse?
Auch wenn sie die Worte so zart setzt und ihre Bilder voll schemenhafter Schönheit sind, so ist sie doch weit entfernt von reiner Selbstbespiegelung. Sie gibt uns Fragen auf, sie will, dass wir uns mit ihren Songs auseinandersetzen. Die nichts aussparen und so viel beinhalten. So viel, dass man es nie gleich fassen kann. Und die so gedichtet sind, dass sie auf uns wie universelle Fragen und Wahrheiten wirken. Was kann man besseres über einen Singer-Songwriter sagen?
Und so passt am Ende dann ihre Aussage zu den neuen Songs: „Kein Zuckerüberzug, die Songs sind sehr persönlich und in gewisser Weise schwierig und kommen definitiv von Orten des Schmerzes und der Selbsterleuchtung, aber auch von Orten der Freude, Entdeckung und der Belohnung der Selbsterkenntnis. Sie kamen, indem sie sowohl nach außen als auch nach innen schauten, mit Veränderungen im Leben sprachen, älter wurden – Politik, Mitgefühl, #metoo, Herzschmerz, Empathie, die Kraft der Erinnerung, Zeit und Ort.“
Fazit: Mary Chapin Carpenter ist und bleibt eine Meisterin ihres Fachs. Gerade wenn sie einem einzulullen scheint, kommen Worte und Bilder um die Ecke, die auch mal Böses ahnen lassen oder verstörend sind. Starkes Album!
Mary Chapin Carpenter – The Dirt And The Stars: Das Album
Titel: The Dirt And The Stars
Künstlerin: Mary Chapin Carpenter
Veröffentlichungstermin: 7. August 2020
Label: Lambent Light Records
Vertrieb: Thirty Tigers, Membran
Format: CD, Vinyl & Digital
Laufzeit: 58:26 Min.
Tracks: 11
Genre: Americana, Country
Trackliste: (The Dirt And The Stars)
01. Farther Along And Further In
02. It’s Ok To Be Sad
03. All Broken Hearts Break Differently
04. Old D-35
05. American Stooge
06. Where The Beauty Is
07. Nocturne
08. Secret Keepers
09. Asking For A Friend
10. Everybody’s Got Something
11. Between The Dirt And The Stars