Von Detroit City bis El Paso (Teil 3)
Bob Dylans beleuchtet in seinem neuen Buch „Die Philosophie des modernen Songs“ auch eine ganze Reihe Countrysongs.
Im letzten Teil der Serie zu Dylans-Country-Besprechungen treten endlich Johnny Cash und sein Kumpel Waylon Jennings auf, aber auch die Old Time-Musiker Uncle Dave Macon und Charlie Poole.
Johnny Cash: Big River & Don’t Take Your Guns To Town
Dylan erzählt uns hier nicht die Geschichte von „Big River“, in dem ein liebender Mann einer Frau den ganzen Mississippi runter folgt und sie doch nie trifft. Er nutzt den Song um an den Johnny Cash zu erinnern, der hinter den überlebensgroßen Etiketten „Man In Black“ und „American Recordings“ steckt. Er war ein witziger Märchenerzähler, ein rauer Trapper, ein wahrer Riese. „Er teilt die Wolken und trinkt Nitroglyzerin. Das ist der wahre Johnny Cash, und «Big River» ist der Song, an dem man ihn erkennt. Ganz lakonisch dagegen seine Besprechung von „Don’t Take Your Gunst To Town“: „Bewaffnet in die Stadt ziehen, um zu beweisen, dass man ein Mann ist, könnte nicht die beste Idee sein – überleg dir das lieber, solange noch Zeit ist.“
Uncle Dave Macon: Keep my Skillet Good And Greasy
Im Essay wir Dylan zum Musiktheoretiker, erzählt über die musikalische Struktur des Songs, ehe er klar macht, worum es eigentlich in dem Song geht. Es klingt nach großspuriger Erotik, aber der Song ist keine erweiterte sexuelle Metapher. Vielmehr geht es ums Kochen und ums Klauen, Saufen und Tanzen, um Bluthunde und Schweine. Es handelt sich um eine Reihe von Schnappschüssen, zufälligen Momentaufnahmen, die ein größeres Bild heraufbeschwören.“
Damit wird das Bild eines hedonistischen Taugenichts beschworen, der jede Schweinerei macht, die man dich vorstellen kann. Und dabei ist der Song so lautmalerisch und bildreich, dass Dylan mit Chuck Berry vergleicht. Und so ist dieser Old Time Song dem Rock’n’Roll viel näher als der glattpolierten Countrymusik der 1950er und 1960er Jahre. Und Dylan kommt auch noch mit einer super Pointe aus dieser Besprechung raus: „Der Mann ist ein Dieb. Er klaut Fleisch, er klaut Hühner und macht seine Frauen schön betrunken. Über Unterhaltungskünstler wird gesagt, dass sie zwar gut singen und spielen, aber keine guten Menschen sind. Dieser Song verrät, warum.“
Waylon Jennings: I’ve Always Been Crazy
Waylon Jennings, der große Outlaw, das Rauhbein, das so wunderbar schmalzig-zart sein Luckenbach, Texas knödeln konnte. Auch er kämpfte mit seinen Dämonen, daher dieser Song quasi eine Selbsteinschätzung Waylons. Dieser nährt sich Bob Dylan gekonnt in seinem Riff an. Im Essay greift er nochmal das Bild des Unterhaltungskünstlers auf und vergleicht ihn mit einem Psychiater: „Bei vielen funktionieren Therapien, wobei Unterhaltungskünstler es leichter haben als andere. Anstatt ein Stundenhonorar dafür zu zahlen, dass jemand Interesse heuchelt und ihnen zuhört, während sie sich langatmig über ihr Leben auslassen, ruft ein gewiefter Bühnenmensch sein Publikum heran, schüttet ihm sein Herz aus und erntet dafür nicht nur Bewunderung, sondern darf auch noch eine hübsche Gage einstreichen. Welche Probleme hat Elvis abgearbeitet, als tausende von Teenagermädchen laut seinen Namen riefen? Mit welchen Todesängsten schlug sich Screamin’ Jay Hawkins herum, als er Leuten Geld dafür abnahm, dass sie ihn aus einem Sarg steigen sehen?“
Dylans humorvolle Kapriolen werden noch heftiger: „Entertainer verstehen, dass eine gute Geschichte ein ausgezeichneter Rohstoff ist, den sie nicht einfach verschenken dürfen. Der Therapeut steht dabei auf der falschen Seite der Transaktion – hat man eine zugkräftige Geschichte zu erzählen, dass man zum Beispiel mit seinem Vater vögeln oder mit der Mutter schlafen möchte, warum sollte man einen Psychotherapeuten dafür bezahlen, dass er sich das anhört? Er oder sie sollte vielmehr dafür blechen, es sich anhören zu dürfen.“ Wahnsinnig und lustig – Dylan ist einfach ein großer Humorist!
Charlie Poole: Old And Only In The Way
Eben noch mit bissigem,bösem Humor ausgestattet, lässt sich der Meister in seinem Essay über Charlie Pooles „Old And Only In The Way“ über das Älter werden in Amerika aus. Wie der mittlerweile 81-jährige hier über den mangelnden Respekt vor alten Menschen schreibt, hat etwas Berührendes. „Alt und im Weg beschreibt den modernen Umgang vieler Amerikaner mit Älteren. Sie stoßen sie beiseite. Es gab mal eine Zeit, in der Ältere respektiert wurden und man wegen ihrer Weisheit und Erfahrung zu ihnen aufschaute. Aber heute nicht mehr. Manche sagen, die moderne Welt besteht vor allem aus ungezogenen Kindern – die offenbar nicht verstehen, dass auch sie eines Tages alt und im Weg sein werden.“
Dylan, der für viele immer noch der junge Protestsänger aus den 1960er Jahren ist, wird zum Anwalt der Alten. Dabei ist er doch selbst alles andere als ein Greis, sondern noch immer rund um den Erdball auf Konzerten unterwegs.
Passend, dass der letzte Old Time-Song den alten Dylan zum Sinnieren über die Rolle der Alten in der Gesellschaft kommen lässt. Scheinbar ein Thema, das ihn stark beschäftigt. Es scheint ihm, der ja mal Idol einer jungen Generation war, wichtig zu sein, dass „jung“ erst einmal nichts Positives an sich ist und jede neue, junge, fordernde, aufbegehrende Generation irgendwann die ältere Generation ist, die wieder von einer neuen, jüngeren Generation in Frage gestellt wird. So wie heute die Baby Boomer von der „Fridays For Future-Generation“. An einer weiteren Stelle im Buch beschäftigt er sich nochmals mit dem Thema. Natürlich, wenn er „My Generation“ von den „The Who“ bespricht.
Fazit: Soweit unsere Country-Tour durch das neue Dylan-Buch. Wer sich drauf einlässt, ohne vorher im eigenen Kopf Mauern hochzuziehen, kann viele Denkanstöße, neue Informationen oder interessante Sichtweisen kennenlernen. Es ist eine Schatztruhe und wir alle dürfen sie öffnen.
Bob Dylan – Die Philosophie des modernen Songs: Das 2022er Buch
Titel: Die Philosophie des modernen Songs
Autoren: Bob Dylan
Veröffentlichungstermin: 18. November 2022
Verlag: C.H. Beck
Format: Buch
Seiten: 352 Seiten
Sprache: Deutsch