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The Caretaker oder The Ballad of Johnny Cash – Teil 2: Home

Aus Anlass des 90. Geburtstages von Johnny Cash am 26. Februar begibt sich unser Autor Oliver Kanehl tief ins Cashland und geht in seiner vierteiligen Reihe zum Man in Black der Frage nach, was den Mythos Johnny Cash im Innersten zusammenhält.

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Johnny Cash Johnny Cash. Bildrechte: Andreas Weihs

Juni 2011, heute morgen sind wir in Nashville aufgebrochen, haben in Jackson, Tennessee – Carl Perkins‘ Grab besucht, waren dann in Nutbush und Brownsville, dem Geburtsort Tina Turners, haben den Mississippi überquert und suchen nun im nur aus einer Handvoll Häusern bestehenden Dyess, Arkansas zwischen den Feldern nach Johnny Cashs sogenanntem Boyhood Home. Klingt einfach, ist es leider nicht. Die Wegweiser halfen nur den Ortskern zu finden. Die einzelnen Häuser sind aber über das ganze Areal weit verteilt. Welche der schmalen Schotterpisten zum früheren Heim der Cash-Familie führt, ist alles andere als klar.

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Die Dyess-Kolonie wurde 1934 im Rahmen von Präsident Roosevelts New Deal Programm mitten im Schwemmland des Mississippi gegründet. Hier bekamen 500 vorher mittellose Sharecropper von der Regierung ein kleines einfaches Holzhaus, ein Maultier und 16 Hektar Land für ihre Familie zur Bewirtschaftung zugewiesen. Auf diese Weise unterstützte die Regierung Teile der darbenden Landbevölkerung dabei, sich aus der Armut zu kämpfen. Auch der Familie von Johnny Cash wurde damals so geholfen, in schwieriger Zeit wieder auf die Beine zu kommen.

Wir fahren vorbei an von Kugeln durchsiebten Verkehrsschildern und versuchen, der Situation etwas Komisches abzugewinnen. Aber es wird immer offensichtlicher, dass wir in der verlassen wirkenden Gegend jemanden finden müssen, der uns helfen kann, die Cash-Hütte zu finden. Schließlich sehen wir von Weitem einen Mann, der hinter seinem Haus ein Gemüsebeet beackert. Meine Frau bleibt im Auto und ich begebe mich mutig zum Grundstück des Mannes in dem Bewusstsein, dass der Schusswaffengebrauch hier sehr beliebt zu sein scheint. Hoffentlich ist der Herr nicht zu sehr von den deutschen Pilgern genervt, die hier immer mal wieder auf der Suche nach dem Man in Black völlig lost in seinen Vorgarten stolpern.

Als ich mich nähere, fürchte ich, dass es sich gar nicht um ein Gemüsebeet handelt. Vielleicht wurde hier gerade etwas anders als Saatgut unter die Erde gebracht. Weit gefehlt, der Mann ist sehr nett und ich kann während des kurzen Gesprächs seinem schweren Drawl entnehmen, wo ich abbiegen muss. Keine fünf Minuten später stehen wir vor der baufälligen ehemaligen Behausung der Familie Cash, die still von der sinkenden Sonne beschienen wird.

Schon von weitem gleicht das Bild dem, was man im schönen Dokumentarfilm Johnny Cash – The Man, His World, His Music von 1969 sehen kann. Dort fährt Cash mit seinem Tourbus vor der Hütte vor, um sie June Carter und dem Filmteam zu zeigen. Jetzt sieht es so aus, als wäre das gerade gestern gewesen und Cash eben erst davongefahren. „Right in the middle of nowhere“ liegt das Haus etwas abseits der Piste, nahe an einem großen Feld. Das Grundstück ist offen, kein Zaun und fast ohne Bäume. Hier wohnt schon lange niemand mehr. Man sagt, das Grundstück soll wieder der Familie gehören und das Haus restauriert werden, um es ähnlich Elvis‘ Geburtshaus in Tupelo, Mississppi, der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Was für ein Glück. Wir sind hier weit und breit die einzigen Seelen. So einsam, so unberührt wird man diesen Ort wohl nicht mehr lange erleben können. Plötzlich haben wir das Gefühl, dem Man in Black ganz nahe zu sein. Dieses Haus erzählt uns mehr über Johnny Cash als jedes Buch oder Museum.

Schnell ist das verwitterte Shotgunhouse mit der kleinen Veranda umrundet. Im offenen Geräteschuppen hinterm Haus liegt viel Gerümpel. Alte Flaschen, leere Kanister und Farbeimer liegen auf der Erde, umherliegende Bretter säumen unseren Weg. Eine der dreckigen Flaschen hebe ich auf. Dieses jahrzehntealte Colafläschchen, gefunden im Country Trash, ist mir mehr wert, als jedes T-Shirt aus irgendeinem Souvenirshop. An der Porch fehlen vielen Brettern die Nägel. Die ehemals weiße Farbe ist grau und fast überall abgeplatzt. Ich setze mich ins Gras, lehne mich an die Hauswand und breche mir ein kleines Stück des morschen Holzes ab, befühle es und sehe über die Felder in die Abendsonne und genieße die große Ruhe, die nur von gelegentlichem fremd klingendem Vogelgeschrei gestört wird. Als wir wieder zum Mietwagen gehen, bellt in der Ferne ein Hund. Ich drehe mich noch einmal um und sehe eine tiefschwarze Krähe, die mir von einem der alten, hölzernen Strommasten aus hinterherblickt.

Heute kann man das komplett sanierte Johnny Cash Boyhood Home auch innen besichtigen. Zum eingezäunten Haus führt ein gepflasterter Weg. Alle äußeren Planken und Bretter wurden erneuert. Frisch getüncht erstrahlt das Haus ganz, neu wie von einem Helikopter hier abgesetzt, gleißend weiß in der Sonne. Ich mochte es lieber alt und kaputt, einsam und verlassen. Das passte besser zu Johnny Cash, das passte besser zum Man in Black.

Alle Teile des Specials im Überblick:

The Caretaker oder The Ballad of Johnny Cash – Teil 1: CASH
The Caretaker oder The Ballad of Johnny Cash – Teil 2: Home
The Caretaker oder The Ballad of Johnny Cash – Teil 3: Boom Chicka Boom
The Caretaker oder The Ballad of Johnny Cash – Teil 4: The Caretaker

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Über Oliver Kanehl (55 Artikel)
Redakteur. Fachgebiet: Traditionelle Countrymusik von vorgestern und heute (Indie Country, Hillbilly, Honky Tonk u.a.) Rezensionen, Specials.
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